
Sie blickte vom Bett aus dem Fenster und beobachtete die Äste des Baumes, die sich im Wind bewegten. Vor wenigen Wochen hatte sie diese noch im vollen grünen Laub in der Sonne leuchten gesehen. Als das helle Sonnenlicht sie berührte, war sie noch im Besitz ihrer Kräfte.
Es regnete und Tropfen liefen tränengleich über das Fenster. Die Äste des Baumes wurden schwer vom Sturm geschüttelt, richteten sich auf und drehten sich in alle Richtungen. Es schien, als ob sie abbrechen sollten, als ob der Himmel sich gegen den Baum verschworen hatte, der der rettende Begleiter in den vergangenen Wochen für sie gewesen war. Sie liebte ihn.
Mit der Zeit ihres Leidens waren ihre Kräfte schwächer geworden und sie fühlte sich nicht mehr sicher auf der Schaukel ihrer Gefühle, die manchmal hoch hinaus und dann wieder tief hinunter schwangen. Sie versteckte ihre Not, ließ sie nur hinaus in den Stunden der Schwäche, die sie sich nur allein zugestand. Es waren jene Stunden, die sie zweifeln und verzweifeln ließen.
Manchmal fühlte sie sich noch wohl und gehalten, immer öfter spürte sie die Hitze der Hölle. Sie büßte ihre Sünden im Fegefeuer ihrer Schmerzen, erfreute sich an der Natur und litt zugleich. Vom Baum ließ sie sich führen, vor sich hintreiben und ruhig werden. Der Baum war ihr Gefährte, ein Freund in allen Sorgen und Nöten, ein Wegweiser für die Zukunft. Sie sprach mit ihm, wie mit einem Freund. Er verstand sie auch ohne Worte.
Als der Herbst das Laub bunt färbte, und ihre Lieblingsjahreszeit begann, wurden die Erinnerungen an das Leben reif wie der Wein zur Zeit der Lese.
Sie stellte sich vor, wie sich die Äste im Winter baren gegen den Himmel strecken und der Wind den Schnee gegen das Fenster blasen würde. Sie fühlte die Kälte eines strengen Winters in sich implodieren. Merkte, dass die Sicht auf den Baum eingeschränkter wurde. Ihr Augen ließen nach.
Sie wünschte sich eins zu sein mit der Erde, die so gut roch, wenn das Herbstlaub in Verwesung überging. Sanft würde der Schnee auf ihr Grab fallen und Blumen im Frühjahr kräftig und stark aus dem Boden über ihr sprießen. Sie brauchte dann kein Augenlicht mehr, um mit der Natur zu verschmelzen. Der Abschied vom Baum fiel ihr schwer. Er winkte ihr liebevoll zu. Und sie dankte ihm von ganzem Herzen für die Begleitung.
Es war Zeit zu gehen. Sie hoffte, dass mit den Boten des Frühlings ihr Geist auferstehen würde, um sich einen neuen Weg zu suchen. Vielleicht würde ein Baum am Grab ihr zukünftiger Gefährte sein. Seine Wurzeln würden sie berühren und eine Nähe entstehen, die aus der Verschmelzung der Natur entstand. Die Sonne würde ihre Strahlen über sie gießen, der Regen ihre Wurzeln befeuchten, damit sie Liebe spüren konnte, die auch alles in der Natur miteinander verband. Eine unendliche Liebe…