Eine Kostprobe aus meiner CD: Mit den Augen einer Afrikanerin
Hier: Die Heimkehr
Eine Kostprobe aus meiner CD: Mit den Augen einer Afrikanerin
Hier: Die Heimkehr
Hier können Sie die erste Kurzgeschichte von der Leopardin hören:
Eine Hör-CD mit weiteren Leoparden-Gedankenreisen können Sie per mail bestellen:
Angst vor dem Unbekannten
Da war etwas. Ich spürte es deutlich. Es war nah. Sehr nah. Etwas, das mich beobachtete. Meine schlagartig bis aufs Äußerste gereizten Sinne rieten mir, mich nicht zu bewegen. Mein Atem ging flach, mein Herz raste, aus jeder Pore brach mir der Schweiß. An einen Baum gelehnt kauerte ich am Boden. Die Erschöpfung hatte mich einschlafen lassen. Irgendwo. In meinem Rücken fühlte ich die raue Rinde des Baums, roch die modrige Ausdünstüng der feuchten Erde. Es war unwirklich still, kein Laut war zu hören. Die Vögel des Urwalds schliefen noch. Aber selbst zu dieser Stunde hätte wenigstens hin und wieder einmal das heisere Brüllen eines Affen oder das Quaken der Frösche in den nahen Sümpfen das drückende Schweigen durchbrechen müssen. Doch kein einziges Geräusch nahm dieses Gefühl völligen Ausgeliefertseins von mir. Ich fühlte mich verlassen, mitten im Dschungel Westafrikas, mitten in der Nacht, in dieser völligen Finsternis, in der ich keinen Baum und keinen Strauch erkennen konnte. Verlassen von allem. Und doch lastete dieses unbestimmte Gefühl auf mir, dass da etwas ganz in meiner Nähe war.
Lautlos in den Ästen lauernd
„Der Leopard lauert lautlos in den Ästen. Schon dein Blick kann ihn reizen. Dann setzt er zum Sprung an.“ Deutlich erinnerte ich mich an die Warnung meiner Lehrmeisterin Odame.
Ich hatte den Herrscher des Urwalds bis zu diesem Moment noch nicht zu Gesicht bekommen; ja, ich hatte sogar angenommen, die Worte der weisen Frau sollten mir nicht Angst machen, sondern Respekt vor dem Urwald, seinen Bewohnern, der Natur und den Geistern und Göttern in mir wecken. Nachdem ich eine Zeit lang verharrt, atemlos, schwitzend wie unter einer großen Anstrengung, und vergeblich versucht hatte aus meiner unbequemen Position heraus die Situation einzuschätzen, wagte ich es schließlich vorsichtig den Kopf zu bewegen. Gerade so viel, dass ich eine etwas erweiterte Rundumsicht gewann. Die mich umgebende Dunkelheit wich gleichwohl keinen Millimeter. Nur auf meinen Gehörsinn schien noch Verlass: Die Stille, in der jedes Rascheln der Blätter und Zweige einen Angreifer verraten hätte, blieb unverändert. Während mein Herz das Blut wie verrückt durch die Adern pumpte, sich gleichzeitig ein leichtes Frösteln im Körper ausbreitete, entschloss ich mich, meine hilflose Lage vorsichtig zu verändern. Wie in Zeitlupe zog ich die Beine an, den Rücken gegen den Baum gepresst. Ich wartete. Auf ein Zeichen aus der Dunkelheit, etwas, das meine instinktive Angst bestätigen würde. Meine Augen suchten den mich umgebenden Wald nach einer winzigen Helligkeit ab.
Grüne Augen in der Finsternis
Als ich sie entdeckte, wünschte ich mir abrupt die Finsternis zurück: Unbewegt stachen zwei irisierend grüne Punkte aus der Nacht; wie von einem kalten Feuer entzündet, klar und unbeweglich. Es war zu dunkel, um die Entfernung abschätzen zu können. Der Größe nach zu urteilen mochten es fünf Meter sein, oder zehn? Aber auf welcher Höhe? Im Baum? Darunter? Der Leopard lauert lautlos in den Ästen… Wartete er auf mich? Meine Angst ließ mich einfrieren. Hypnotisiert starrte ich in seine grünen Augen.
Allmählich meldete sich mein Verstand zu Wort; begann einen inneren Austausch mit meiner übermächtigen Angst; sagte mir, dass der Leopard mich schon längst hätte töten können, während ich geschlafen hatte. Die Angst sagte mir auch, dass die Raubkatze nur bewegte Ziele angriff; dass die Gefahr wüchse, sobald ich aufstände. Während sich mein Blick unverwandt in die grünen Augen des Leoparden bohrte, hörte ich sein Knurren. Hatte ich mich bewegt? Die Reaktion des Raubtiers ließ mich erstarren. Sein Knurren klang wie das eines großen Hundes, der seinen Unmut kundtut. Nur lauter, guttural, etwas heiser, voll unterdrückter Wut. Ich umklammerte meine zitternden Knie fester. Nichts geschah. Die Sekunden dehnten sich zu Minuten, schwollen zu Stunden. Beruhigend spürte ich den festen Stamm des Baums hinter mir. Mein Kreislauf, meine Atmung fanden wieder ihren normalen Rhythmus. Die panische Angst wich langsam dem Gefühl des Ärgers über den Zustand der Belagerung. Ich empfand ihn zunehmend als ärgerlich, als etwas, das ich abschütteln wollte.
Meister der Tarnung
Das Licht am Übergang von der Schwärze der Nacht zur Glut des Morgens schimmerte fahlgrau und kündete vom nahen Sonnenaufgang, dem rasch die Hitze des Tages folgen würde. Gefiltert durch das dichte Blätterdach drang es zu mir auf den Boden. Langsam traten die Konturen aus dem schwarzen Urwald hervor; zunächst die des dichten Laubdachs der Bäume, ihre gewaltigen Kronen, geschmückt mit rankenden Schmarotzern; dann die senkrechten, Vertrauen erweckenden Stämme der Baumriesen. Dann sah ich ihn. Den Kopf auf den Ast gelegt, auf dem auch sein dunkler Körper ruhte, fixierte er mich – sein potenzielles Opfer – nahezu bewegungslos. Lediglich sein langer Schwanz, den ich ganz zuletzt – wie in einem Suchspiel – zwischen den Lianen und Blättern ausmachte, bewegte sich gelegentlich. Elegant, sehr kontrolliert, ein Zeichen der eigenen Anspannung, seines von mir nicht kalkulierbaren Temperaments. Ausdruck eines spielerischen Umgangs mit seiner Kraft. Der ich nichts entgegenzusetzen hatte. Nichts als den Willen zu überleben.
Keinerlei Orientierung
„Wenn du etwas von mir willst, dann jetzt! Sonst hau ab!“
Mein Aufschrei fand ein bizarres Echo im erschrockenen Gekreische eines plötzlich erwachten Vogels, dem andere Vogelstimmen folgten. Mein durch ihre Stimmen vervielfachter Aufschrei war wie eine Befreiung. Ich warf die unerträgliche Spannung ab, die mich wie in eine Zwangsjacke eingeschnürt gehalten hatte. Als Antwort riss der Leopard sein zahnbewehrtes Maul weit auf, stöhnte mir noch einmal sein bellendes Fauchen entgegen. Dann sprang er mit einem geschmeidigen Satz, einer aus dem Nichts kommenden federnden Bewegung, von seinem Ast. Seitwärts, mit dem Schwanz das Gleichgewicht ausbalancierend. Sofort verschluckte die Dämmerung seinen Körper.
Die Hände abgestützt rutschte ich langsam am Stamm hoch, bis ich stand. Sekundenlang hörte ich noch das Knacken von Ästen, das Rascheln des Laubs. Ich stolperte los, über Wurzeln und abgestorbene Bäume, der diffus aus dem Osten einfallenden Helligkeit des beginnenden Morgens entgegen. Ich hatte in diesem urwüchsigen Chaos keinerlei Orientierung. Irgendwann sah ich Wasser zwischen den Bäumen schimmern, eine glitzernd ruhende Oberfläche klar wie ein Spiegel: der breite Seitenarm eines Flusses. Zu meinen Füßen die beruhigende Weite der Wasseroberfläche, hinter mir die bedrückende Dichte des Waldes. Langsam kniete ich mich hin, sah mich vorsichtig und aufmerksam um.
Mein Lebensretter
Er war vor mir angekommen. Den muskulösen Hals weit vorgestreckt, während sein Körper angespannt auf sehnigen Beinen ruhte, trank er das Wasser. Ganz ruhig. Nur kurz unterbrach er, drehte den Kopf in meine Richtung, als wollte er mir höhnisch zunicken: Na, auch schon da? Dann trank er gelassen weiter. Er war nicht schwarz, wie ich zuerst angenommen hatte. Die ersten Strahlen der Sonne zeigten sein dezent geflecktes Fell, wie mit einem dunklen Netz überzogen. Ein Meister der Tarnung, der sich seiner Umgebung des ständigen Wechselspiels von Licht und Schatten frappierend angepasst hatte. Nach einem letzten, etwas abschätzigen Blick in meine Richtung, federte er mit wenigen langen Sprüngen in den Urwald zurück. Dorthin, wo er zuhause war und wohin ich mich verlaufen hatte.